Die roten Rosen sind verschimmelt,
nicht verblüht und verdorrt, nein
Verschimmelt in ihre Plastikhülle.
Der Rosenduft verflogen, ein ohnehin
unnatürlicher, künstlicher Duft, denn
die Rosen konnten schon vor drei
Wochen nicht mehr atmen, nicht mehr
riechen in ihren aufgeblasenen
Gefrierbeuteln nur auf Zeit konserviert.
Auch dieser Illusion sind wir nun
beraubt.
 
Konterkariert durch das Nadelkissen
war der Rosenduft Gaukelei, genau
passend zum poetischen Charakter
dieser Ausstellung. Eine Poesie, die sich
mit unserem Gefühl mischt, die von
Geburt und Leben, von Zartheit und
Erinnerung spricht, die uns an Kindheit
und Träume erinnert – eingelullt und
provoziert vom sommerlichen und
romantischen Duft roter Rosen. Die
Euphorie der Vernissage ist vorüber, die
Ernüchterung der Finissage nimmt
Raum und fragt: war und ist alles anders,
alles Illusion, ein Trug – undWunschbild
unsere Verdrängung und Harmoniesucht
 
>>Ariadne war es müde, auf Theseus Wiederkehr
aus dem Labyrinth zu warten, auf seinen monotonen
Schritt zu lauern und sein Gesicht unter all den flüchtigen
Schatten wiederzuerkennen.
Ariadne hat sich erhängt. An der aus Identität, Erinnerung
und Wiedererkennung verliebt geflochtenen Schnur dreht
sich ihr Körper nachdenklich um sich selbst. Der Faden ist
gerissen, und Theseus kommt nicht wieder. Er rennt und rast,
taumelt und tanzt durch Gänge, Tunnel, Keller, Höhlen,
Kreuzwege, Abgründe, Blitze und Donner.<<


(Beginn der Fabel, mit der
Michel Foucault das Buch von Deleuze
>>differénce et répétition<<
nacherzählen würde)
 
Da ist das zarte Kleid, die zweite Haut ist durchsichtig, bis aufs
Äußertes verletzlich.
Ein kleines Kleid, ein Kinderkleid – immer wieder verkörpern
im Werk von angela camara correa Kleider Menschen, zarte und
Entschwindende Kleider, die oft verletzt werden, empfindlich sind.
Nadelstiche Des Lebens attackieren das Kleid, das Kind...
Es ist wie ein Hauch – durchsichtig, wie die Ahnung eines Kindes.
Dieses Kleid scheint ein vermisstes, nicht anwesendes Kind zu
sein. Ein nie geborenes, ein verlorenes, ein geraubtes vielleicht?
Die verlorene Kindheit? An den Wänden Zeichen der Weiblichkeit
oder Umrisse von Kindern, auch sich wegdrehende Figuren,
kreisende Bewegungen von Eroberung und Abwehr, von männlich
und weiblich – angela camara correa lässt die Chiffren
changieren, das Spiel fällt auf die Betrechtenden selbst zurück,
wird zum körperlichen Gefühl von Beteiligtsein.
 
Die Trägerinnen im Keller sind
zusammengebrochen, die Stärke,
die die Künstlerin sich selbst, die
vielleicht auch das Leben abverlangt, 
gerät Abhanden – auch nur
eine Illusion?
Auf Zeit
nennt die Künstlerin diese Ausstellung,
anspielend an den Namen
Der wechselnden Räumlichkeiten,
aber doch noch mehr. Der Ariadnefaden,
die Spur der Zeit ist über die Dauer der
Ausstellung gerissen. Nur vorübergehend,
nur auf Zeit können Trugbilder aufrechterhalten
werden, auf Zeit nur hält sich Farbe und
Schönheit der Rosen, auf Zeit nur bleiben die
Kinder, auf zeit nur die Familie, sie wird wie alles
andere zum verlassenden Foto Erinnerung.
Erinnerung, abgründige Erinnerung bleibt,
was noch?
 
Nadelstiche, Schmerzen, Vergänglichkeit und Rot.
Die einzelnen Objekte und Zeichnungen erzählen von Vergänglichkeit,
von Schmerzen und Verlust. In ihre Schönheit vielleicht auch von der
Stärke, sich der Grausamkeit der Zeit zu stellen.
Sie treten wie Metaphern eines Gedichts Zueinander ins Verhältnis,
wir treten hinzu und werden selbst Teil dieses Gedichts, ein Gedicht,
das jenseits der Illusion des künstlichen Rosendufts von den Abgründen
des Lebens, einer individuellen, wie allgemeinen weiblichen Biografie
spricht, das sehr subtil und dadurch noch furchtbarer Schmerzen und
Verletzungen offenbar macht, nicht als direktes Gegenüber, sondern
eingeschlichen in unser Fühlen. Vergleichbar mit Filmen, Musik uns
Dichtung – insofern ist es sinnvoll, das Wort an die Dichtung, genauer
an Dichtung des südamerikanischen Ursprungs von angela camara
correa abzugeben.
 

auf zeit - finisage

text:  dr. anne mueller van der haegen

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